Kapitel 33 – Einrücken mit Vorgeschichte

Silvester 1989 in Konstanz war klirrend kalt
nicht nur wegen der Temperaturen,
sondern auch wegen der Gewissheit,
dass es das letzte Fest in Freiheit sein würde.
Tom und Jan waren dabei,
alte Freunde, beide schon fertig mit ihrer Zeit beim Heer.
Jetzt lachten sie über die Luftwaffe,
zogen über das Chemieklo von Germersheim her
und machten Witze, wie man dort mit der Gasmaske einschläft.

Und ich?

Ich fror nicht nur am Bodensee,
sondern innerlich bei dem Gedanken an die Grundausbildung im Winter.
Eis, Matsch, Drill –
der Gedanke war alles andere als erhebend.
Aber es kam ganz anders.

Der Winter 1990 war ungewöhnlich warm,
und die Ausbilder murmelten,
dass wir froh sein könnten,
nicht im Hochsommer die Rheinauen durchqueren zu müssen.
Mückenplage, Hitze, Feuchtbiotop mit Helm und Rucksack
das sei die wahre Hölle.
Da kam der Frühjahrsboden fast als Erholung daher.

Aber Erholung war das natürlich keine.

Germersheim war damals berüchtigt für seine sogenannte
„Blutsockeneinheit“
eine Bezeichnung, die mehr nach Vietnam als nach Pfalz klang.
Im Klartext: viel Marschieren, viel Schleppen, viel Schwitzen.
Und das schlimmste Gerät in dieser ganzen Show:
der Zodiak, unsere mobile ABC-Schutzanlage.
Kombiniert mit einer Innenraumatmosphäre,
die einem Siedekessel glich.

Dazu noch Maskenläufe mit leichtem Brechreizgas
eine Methode, damit niemand auf die Idee kommt,
im Ernstfall seine Maske vom Gesicht zu reißen.
Es gab trotzdem ein paar Helleköpfe,
die genau das taten.
Lehrreich – für die anderen.

Ich war 25, die meisten anderen 18 oder 19.
Und das merkt man.
Fitness ist im Alter keine Selbstverständlichkeit,
aber ich zog mit.
Nicht nur, weil es der Stolz wollte,
sondern auch, weil ich nicht abgehängt werden wollte.

Beim Gewaltmarsch,
als Sebi zusammenklappte,
war Tragen angesagt.
Bundeswehr eben: Einer fällt,
alle tragen.

Mit dem G3 schoss ich erstaunlich gut.
Besser sogar als früher mit dem Luftgewehr meiner Mutter,
die immerhin bayerische Schützenmeisterin war.
Das G3 ist eine ehrliche,
handzahme Waffe
präzise, gut ausbalanciert,
und, wenn man ehrlich ist,
weniger „zickig“ als manches Sportgewehr.

Obwohl die Wiedervereinigung längst im Raum stand,
war unsere Ausbildung noch klar auf Kalten Krieg ausgerichtet.
Feindbilder inklusive.
Und da tauchte plötzlich der MAD auf –
der Militärische Abschirmdienst.
Keine Sicherheitsfreigabe für mich.
Zwei Jahre Österreich, das war ihnen zu undurchsichtig.
Ich verstand das.
Irgendwie sogar bewunderte ich,
was sie alles über mich wussten.

Die wussten auch von der „Radarstation“ in einem kleinen Ort im Landkreis
die Teil einer Rallye-Frage meiner Eltern war.
Ich hatte gedacht, das sei eine alte Station aus dem Kalten Krieg.
Aber später erfuhr ich:
es war meine zukünftige Hawk-Stellung
eine Einheit, die nach dem Prinzip
„Abschießen und in 30 Minuten verschwinden“ arbeitete.
Einmal schafften wir es in 27 Minuten.

Aber ohne Sicherheitsfreigabe durfte ich da nicht mal den Zaun sehen.
Also neue Überprüfung.
Diesmal fragte man nach Referenzen.
Ich dachte kurz nach –
und nannte meine Tante.
Die hatte beim BND gearbeitet.

Ein paar Tage später:
Sicherheitsfreigabe erteilt.

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