Talcott Parsons (1902–1979) gilt als einer der Gründungsfiguren der modernen Soziologie in den USA. Sein Strukturfunktionalismus entwickelte sich in den 1930er bis 1960er Jahren zu einem dominanten Paradigma. Im Zentrum seiner Theorie steht die Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich?1
Parsons’ Antwort lautet: durch geteilte Werte. Gesellschaften funktionieren nicht allein durch Macht oder Zwang, sondern weil ihre Mitglieder ein Set von grundlegenden Orientierungen teilen, die Handlungen koordinieren und Erwartungen stabilisieren. Werte sind bei ihm kulturelle Muster, die Normen und Rollen erst tragfähig machen.
Werte als Bestandteil des Handlungssystems
In Parsons’ AGIL-Schema (Adaption, Goal Attainment, Integration, Latency) nimmt die kulturelle Dimension eine Schlüsselrolle ein. Sie liefert die Werte, die Orientierung stiften und Integration ermöglichen. Werte beantworten grundlegende Fragen wie: „Was gilt als richtiges Handeln?“, „Was ist erstrebenswert?“ oder „Was ist legitim?“
- Normen: konkrete Regeln des Handelns (z. B. Verkehrsregeln).
- Werte: übergeordnete Prinzipien, die Normen legitimieren (z. B. Sicherheit, Ordnung).2
Damit sind Werte die oberste Ebene der kulturellen Ordnung – sie sind generalisiert, abstrakt und für die Gesellschaft als Ganze gültig.
Werte als kollektive Orientierung
Für Parsons bilden Werte die kollektive Basis sozialer Integration. Sie sind nicht nur individuelle Überzeugungen, sondern werden in Sozialisation und Institutionen verankert. Beispielsweise:
- In den USA der Nachkriegszeit sieht Parsons Werte wie Leistung, Rationalität, Demokratie und Familie als kulturelle Leitideen.3
- Diese Werte ermöglichen es Individuen, ihre Rollen (z. B. als Arbeitnehmer, Familienmitglied, Bürger) zu erfüllen, ohne dass permanente Konflikte entstehen.
Werte sind damit „Orientierungsmuster“, die eine Gesellschaft zusammenhalten, weil sie gemeinsame Erwartungen an Handlungen formulieren.
Kritik und Bedeutung
Parsons wurde später (besonders in den 1960ern und 70ern) heftig kritisiert, weil sein Modell stabilitätsorientiert ist: Er erklärt gut, wie Ordnung und Integration funktionieren, aber weniger, wie Konflikte, Wandel oder Machtkämpfe entstehen. Für die Wertsoziologie bleibt er dennoch zentral, weil er erstmals systematisch gezeigt hat, dass Werte nicht Nebensache, sondern die eigentliche Grundlage sozialer Ordnung sind.
Von Parsons zu Luhmann
Während Parsons Werte als Integrationskitt der Gesellschaft versteht, wendet Niklas Luhmann diese Perspektive radikal: In seiner Theorie sozialer Systeme werden Werte nicht mehr als harmonische Gemeinsamkeit gedacht, sondern als Differenzen, die Kommunikation ermöglichen. Wo Parsons das Gemeinsame betont, rückt Luhmann die Unterscheidung – etwa zwischen „recht/unrecht“ oder „wahr/unwahr“ – ins Zentrum. Damit verschiebt sich der Fokus: von Werten als kollektiver Einheit hin zu Werten als funktionaler Differenz in hochdifferenzierten Gesellschaften.
1 Parsons, Talcott: The Structure of Social Action, New York 1937.
2 Parsons, Talcott: The Social System, Glencoe 1951, bes. Kap. II–III.
3 Parsons, Talcott/Shils, Edward (Hg.): Toward a General Theory of Action, Cambridge (Mass.) 1951
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