Metaethische Diskussion: Objektivismus vs. Relativismus, intrinsische vs. instrumentelle Werte

1. Objektivismus vs. Relativismus

Objektivistische Positionen


Der Objektivismus geht davon aus, dass Werte unabhängig von menschlichen Meinungen, Kulturen oder historischen Umständen existieren. Vertreter wie Max Scheler oder Nicolai Hartmann haben Werte als ontologische Gegebenheiten verstanden: Sie sind nicht bloße Vorlieben, sondern besitzen eine objektive Geltung, die entdeckt werden kann.1 Auch Immanuel Kant kann in dieser Hinsicht als Objektivist gelesen werden, insofern er die Menschenwürde als unbedingten, universell gültigen Wert begründet.2

Relativistische Positionen


Demgegenüber betonen relativistische Ansätze, dass Werte
kulturell, historisch und sozial konstruiert sind. Friedrich Nietzsche gehört zu den einflussreichsten frühen Relativisten, insofern er in seiner Genealogie der Moral zeigt, dass die Begriffe „gut“ und „böse“ nicht ewig gültig sind, sondern aus Machtverhältnissen und geschichtlichen Prozessen hervorgehen.3 In der modernen Anthropologie und Soziologie wird diese Perspektive häufig fortgeführt: Werte gelten als kontingente Produkte sozialer Praktiken.



  1. Zwischenpositionen


Zwischen diesen Polen haben sich vermittelnde Positionen entwickelt. Besonders hervorzuheben ist die
Diskursethik von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel, die davon ausgeht, dass Werte und Normen nicht vorgegeben sind, aber im Rahmen eines herrschaftsfreien Diskurses universelle Geltung beanspruchen können.4 Damit soll ein Ausweg aus der Alternative zwischen absolutem Objektivismus und radikalem Relativismus eröffnet werden.





2. Intrinsische vs. instrumentelle Werte

Intrinsische Werte


Intrinsische Werte sind Werte, die um ihrer selbst willen wertvoll sind. Ein klassisches Beispiel ist die Menschenwürde: Sie gilt nicht deshalb als wertvoll, weil sie einem weiteren Ziel dient, sondern weil sie selbst als unbedingtes Gut anerkannt wird.5 Auch Begriffe wie „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“ oder „Glück“ werden häufig als intrinsische Werte diskutiert.

Instrumentelle Werte


Instrumentelle Werte sind demgegenüber Mittel zum Zweck. Sie sind wertvoll nicht an sich, sondern weil sie dazu beitragen, intrinsische Werte zu realisieren. So ist Geld nur insofern wertvoll, als es Möglichkeiten eröffnet, Bedürfnisse zu befriedigen oder Gerechtigkeitssysteme (z. B. Umverteilung) zu finanzieren. Sicherheit kann ebenfalls als instrumenteller Wert verstanden werden: Sie ist nicht Selbstzweck, sondern Grundlage für die Entfaltung von Freiheit und Würde.

Philosophische Debatten


Die Unterscheidung geht wesentlich auf die analytische Ethik zurück, insbesondere auf G. E. Moore, der in seiner Principia Ethica (1903) das Konzept des „guten an sich“ starkgemacht hat.6 Moore vertritt die These, dass es grundlegende Werte gibt, die nicht auf anderes zurückführbar sind. Kritiker wie John Mackie haben demgegenüber eine „error theory“ vertreten: Die Annahme objektiver, intrinsischer Werte sei letztlich ein Irrtum, weil es solche Werte nicht wirklich gebe.7

3. Bedeutung für die Werttheorie insgesamt

Die metaethische Diskussion zeigt, dass die Frage nach Werten nicht nur darin besteht, welche Werte gelten sollen, sondern auch darin, wie sie überhaupt begründet werden können:

  • Für den Objektivismus ist klar, dass es universelle, intrinsische Werte gibt, die Maßstab jeder Moralität sind.
  • Der Relativismus hält dagegen, dass Werte immer kontext- und kulturabhängig sind und daher keinen Anspruch auf universelle Geltung erheben können.
  • Die Unterscheidung zwischen intrinsischen und instrumentellen Werten dient dabei als methodisches Hilfsmittel: Sie macht sichtbar, welche Werte wir als Ziele und welche wir als Mittel betrachten – eine Unterscheidung, die in praktischen Debatten (Recht, Politik, Ökonomie) oft entscheidend ist.

In der Gegenwart finden wir häufig hybride Positionen: Menschenrechte werden als quasi-intrinsische Werte anerkannt, während viele politische oder ökonomische Güter (Sicherheit, Wohlstand, Effizienz) als instrumentelle Werte verstanden werden, die nur in Relation zu höheren Zielen Bedeutung haben.

Abschluss Metaethik und Übergang zur
Soziologie

In der philosophischen Diskussion wird deutlich, dass Wertbegriffe immer zwischen zwei Polen oszillieren: Präzision und Offenheit. Bei Kant tritt die Würde als unbedingter Wert in scharfer Form hervor; bei Nietzsche zerbricht jede vermeintlich feste Ordnung in historische Relativität. Scheler und Hartmann versuchen eine objektive Systematisierung, Marx wiederum entlarvt Wert als soziale Form im Kapitalismus.

Die Metaethik zeigt: Wir können Werte entweder als objektive Tatsachen begreifen, als bloße subjektive Setzungen oder als sprachliche und soziale Praktiken. Jeder dieser Ansätze hat Stärken – aber auch Gefahren. Zu große Präzision droht, in Dogmatismus umzuschlagen; zu große Offenheit in Beliebigkeit.

Genau hier öffnet sich der Weg zur Soziologie: Denn Werte sind nicht nur abstrakte Prinzipien, sondern sie wirken immer schon in konkreten Gemeinschaften, Institutionen und Kulturen. Sie stiften Orientierung, indem sie kollektive Erwartungen formen, Handlungen bewertbar machen und Zugehörigkeit erzeugen. Soziologisch betrachtet sind Werte daher weniger metaphysische Größen als vielmehr soziale Tatsachen (Durkheim), die in Diskursen, Ritualen und Konflikten Gestalt annehmen.

1 Scheler, Max: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, Halle 1916.

2 Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Riga 1785.

3 Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral, Leipzig 1887.

4 Habermas, Jürgen: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M. 1983; Apel, Karl-Otto: Diskurs und Verantwortung, Frankfurt a.M. 1990.

5 Kant, Immanuel: ebd.

6 Moore, G. E.: Principia Ethica, Cambridge 1903.

7 Mackie, John L.: Ethics: Inventing Right and Wrong, London 1977.

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