Die Bundeswehr hatte mich nicht vergessen.
Ich war zurückgestellt worden, ja – wegen des gebrochenen Arms,
der mir unter dem LKW meines Vaters fast zermalmt worden war.
Aber vergessen? Nein.
Nach der Schuhverkäuferlehre war ich nach Österreich verschwunden,
ohne mich großartig abzumelden.
Ein bisschen Flucht, ein bisschen Selbstsuche,
ein bisschen: Ich bin dann mal weg.
Zwei Jahre lang funktionierte das erstaunlich gut.
Bis 1989.
Es war Weihnachten,
und ich wollte meine Eltern besuchen.
Doch die Rückkehr nach Deutschland
endete nicht unterm Weihnachtsbaum,
sondern in einer Gefängniszelle an der Grenze.
Nicht wegen Fahnenflucht,
sondern wegen Urkundenfälschung.
Ein absurdes Vergehen,
so klein wie eine Schraube –
und doch groß genug für ein Strafurteil in Abwesenheit:
1.600 DM.
Die Geschichte war eigentlich simpel –
und saublöd.
Ich hatte zwei Autos:
Eins, das fuhr, aber nicht zugelassen war.
Eins, das zugelassen war, aber nicht fuhr.
Es war Weihnachten 1987,
die Zulassungsstellen geschlossen,
die Grüne Versicherungskarte schon da.
Also dachte ich:
„Was soll’s. Ich fahr einfach.“
Und schraubte die Nummernschilder vom Wrack auf den fahrbaren Capri.
Natürlich wurde ich erwischt.
Nicht etwa wegen Alkohol –
den hatte ich nicht im Blut.
Aber ich hatte das Auto nicht abgeschlossen,
und es stand nach der Weihnachtsfeier auffällig vor einem Café.
Die Polizisten hatten offenbar gewartet.
Zogen mich raus,
und dann passten die Kennzeichen nicht zum Fahrzeug.
VW Passat laut Schild,
aber da stand ein Ford Capri.
Tja.
Der Beamte stellte sich mir mit den Worten vor:
„Stahl wie Eisen.“
Kein Witz.
Ich schwieg nicht – ein Fehler.
Ein Anwalt hätte aus dem Fall vielleicht etwas anderes gemacht,
aber ich redete – und die Justiz urteilte.
Ich war nicht informiert worden.
In Österreich erfuhr ich nichts von der Verhandlung.
Kein Brief, kein Mahnschreiben.
Und so stand ich an der Grenze,
plötzlich verurteilt.
In Salzburg landete ich in der Einzelzelle.
Die Beamten waren eigentlich freundlich,
sie fragten, ob ich niemanden anrufen wolle.
Ich wollte nicht, dass meine Eltern zahlen.
Wollte nicht, dass sie sich wieder mit meinem Scherbenhaufen beschäftigen.
Aber die Beamten sagten klipp und klar:
„Wenn niemand zahlt, gehst du in den Knast. Und das ist kein Witz.“
Sie beschrieben mir, wie es dort ist.
Und sie beschrieben es so lebendig,
dass ich die Zelle mit jeder Silbe besser fand
als das, was mir dort drohte.
Also gab ich nach.
Meine Eltern zahlten.
Und ich kam raus.
Doch damit war der Albtraum nicht zu Ende.
Kaum frei, hielt man mir einen Brief vor.
Von der Bundeswehr.
Darin stand:
„Wenn Sie sich nicht binnen zwei Wochen melden, werden Sie zur Fahnenflucht ausgeschrieben.“
Der nächste Scherbenhaufen.
Ein paar Jahre unsichtbar gelebt,
und plötzlich holte mich alles ein:
Justiz, Verwaltung, Wehrpflicht.
Der Staat hatte einen langen Arm
und ich stand ihm – mal wieder – gegenüber.
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