Kapitel 91: Nichts und Sein

Das Nichts ist nie leer.
Sobald wir „Nichts“ sagen, ist schon etwas gesagt.

Ein Wort.
Ein Gedanke.
Ein Sein.

Das Nichts kann sich nicht selbst bezeichnen.
Es braucht ein Sein, um als Nichts erkennbar zu sein.

Im Nichts fallen Maß und Wert zusammen.
Sein ist der Name für das Nichts, wenn kein Unterschied mehr besteht.

Und doch – das Wort „Ich“ teilt schon.
Es schafft Trennung: Ich und Nicht-Ich.
Alles könnte eins sein – und doch mache ich eine Grenze.

Von außen betrachtet gäbe es diese Grenze nicht.
Es wäre immer noch ein Einziges.
Aber von innen zerfällt es in zwei.


Das Nichts formt.
Ein Steinblock wird zur Inschrift, weil etwas fehlt.
Die Leere trägt das Wort.

Die Null entstand durch eine Wegnahme.
Ein Kreis, ein Loch, ein Zeichen für das Nichts.
Doch dieses Nichts ist nicht Abwesenheit – es ist Rahmen.


Wir kommen mit dem Gleichzeitigen nicht zurecht.
Ein Etwas ist für uns da oder nicht da.
Der Affe greift nach dem Ast – er kann nicht gleichzeitig Ast und Nicht-Ast greifen.
Für Licht gilt das nicht.
Es hält sich nicht an unser Entweder-Oder.
Welle und Teilchen zugleich.
Ort und Nichtort zugleich.

Das Denken zerbricht daran, weil Sprache nicht Welt ist.
Sprache ist selbst Teil der Welt.
Und jedes Wort verändert, was es beschreibt.


Maschinen kennen kein Nichts.
Sie handeln, rechnen, tauschen.
Aber sie wollen nicht.

Wenn wir Maschinen den Sinn überlassen,
dann wird Sein bedeutungslos.
Dann sind wir das Nichts in der Geschichte der Maschinen.
Ein Echo, ein Vorläufer, wie Dinosaurier.


Ohne Wille ist Sein und Nichts gleich.
Wille ist das Einzige, was unterscheidet.
Unwille ist auch ein Wille.
Das Nichts ohne Willen wäre nur Stille.


Sein ist das Nichts, das sich selbst Bedeutung gibt.



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