Kapitel 28: Blaulicht, Blut und Bilder im Kopf Man sagt, der Mensch gewöhnt sich an alles.

Aber das stimmt nicht. Man funktioniert.

Mehr nicht. Im Rettungsdienst lernte ich früh,

was andere ihr Leben lang vermeiden:

Blut.

Körper.

Tod. Ich war sechzehn oder siebzehn,

und beim ersten Mal

kotzte ich in den Straßengraben. Dritter Mann. Der Unerfahrenste.

Mit rausgenommen zur Übung.

Oder, wie man später zynisch sagt: „Damit du’s lernst.“ Ich lernte. Schnell.

Nicht weil ich stark war,

sondern weil ich musste. Da war der Motorradfahrer ohne Kopf –

ein Stahlseil quer über die Straße.

Ein falscher Winkel.

Ein Splitsekundenfehler.

Ein menschliches Leben auf der Straße verteilt,

bis auf den Kopf, der fehlte. Dann war da der Schweißer aus Österreich –

Tanklastwagen.

Eine winzige Undichtigkeit.

Ein Funke. Explosion. Man sagt, er hatte 100 Kilo.

Was wir bergen konnten,

waren 70.

Kein Körper mehr.

Ein Fall für Tüten, nicht Tragen. Dann war da das Kind,

das irgendwo in der Region des Jugenddorfes

auf dem Weg nach einer nahegelegenen Stadt

seinen letzten Atemzug tat.

Die Kindersitze, die Eltern,

das kleine Gesicht, das nicht mehr lächelt.

Es ist dieser Moment,

wo man für Sekunden still wird –

nicht aus Ehrfurcht,

sondern weil man nicht weiß,

ob man schreien oder brechen soll. Und danach: Funktionieren. Eintrag im Protokoll.

Messwerte. Uhrzeit. Nichts fühlen. Denn wenn du da jedes Mal fühlst,

hältst du keinen Monat durch. Die leichten Fälle vergisst du schnell.

Der Rentner mit dem verstauchten Knöchel,

die falschen Alarmierungen,

die Panikattacken um drei Uhr nachts. Aber manchmal bleibt etwas hängen,

nicht weil es schlimm war,

sondern weil es das erste Mal war. Ein Mann,

der sich vergiften wollte.

Selbstmordversuch.

Wahrscheinlich mehr Hilferuf als Absicht.

Aber es war mein erster Einsatz.

Mein erstes „echtes“ Leben in der Hand.

Das erste Mal die Angst im Blick eines anderen sehen

und nicht wissen,

ob man selbst genug kann, um ihn zu retten. Später stumpft man ab,

sagen sie. Aber das stimmt nicht. Man wird nur gut im Wegpacken.

In Schubladen.

Im Lächeln, wenn man anderen davon erzählt.

„Ach ja, da war mal einer, dem fehlte der Kopf.“

Und alle lachen nervös. Schwarzer Humor ist nur die Tapete für eine zersplitterte Innenwand. Und wenn dann einer fragt: „Wie hält man das aus?“

Dann sagst du: „Man gewöhnt sich dran.“ Aber das stimmt nicht.

Du lernst nur zu schweigen.

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