So kam ich also doch wieder im Elternhaus an –
nicht freiwillig, sondern wegen der drohenden Ausschreibung zur Fahnenflucht.
Die Flucht aus Österreich endete nicht in der Freiheit,
sondern in der Realität:
Kreiswehrersatzamt München,
eine der hässlicheren Adressen meiner Jugend.
Ich rumpelte hinein,
ganz der verlorene Sohn,
unterschrieb ein paar Blätter,
unter anderem, dass ich „freiwillig“ einrücke
und mich nicht ins Ausland absetze.
Ein bürokratischer Euphemismus für:
„Wir wissen, wo du bist.“
Damit war mein Einrücktermin fix:
1. Januar 1990.
Aber das war Zukunft.
Denn wir schrieben noch 1989,
und der Dienst beim Vater ging wieder los.
Nicht mehr Bau,
sondern die Firma Interscan –
eine Lithographiewerkstatt mit dem Ruf,
halb Deutschland mit Vorlagen für Schnundblätter zu versorgen.
Pop Rocky,
Bravo Starschnitt,
Bild der Frau,
Goldene Revue,
und all das, was in Wartezimmern rumliegt
und die Fantasie von Teenies und Klatschliebhabern füttert.
Hinter den Kulissen: Retuschierte Bilder,
gephotoshopt, bevor es Photoshop gab.
Am Leuchttisch mit dem Skalpell,
Rubylithfolien geschnitten,
Belichtungen korrigiert,
Buchstaben zurechtgerückt,
damit das Lächeln größer,
die Taille schmaler,
und das Drama tiefer wurde.
Und weil es um Drucktermine ging,
wurden bei Interscan manchmal
ganze Familien zu Logistikexperten unter Hochspannung.
Da gab es diesen einen Auftrag –
eine Tiefdruckproduktion in Wien,
mit Konventionalstrafen,
die den Familienbetrieb hätten ruinieren können.
Also machten wir das, was man heute einen Just-in-Time-Einsatz nennt,
aber ohne Computer, ohne Trackingnummern,
nur mit Instinkt, Tempo und Benzin im Blut.
Die erste Druckvorlage ging per „Suzuki Winz“ raus –
mein Spitzname für einen Winztransporter mit Motorradmotor.
So leicht, dass der Fahrtwind durch die Türpfalz pfiff.
Aber er schaffte es.
Die zweite fehlende Druckplatte fuhr mein Vater persönlich
im Mercedes 500 SL –
dem Straßenpanzer mit Haifischcharme.
Er jagte über die Autobahn nach Wien,
als würde er selbst den Druck abziehen müssen.
Die dritte, letzte Platte kam per Luftpost,
besser gesagt: per Schwester,
die mit dem Flieger nach Wien startete.
Drei Menschen, drei Wege,
ein Ziel: Druckfreigabe rechtzeitig liefern.
Und tatsächlich:
Alle trafen nahezu gleichzeitig ein.
Die Produktion konnte beginnen,
die Strafzahlungen blieben aus,
der Auftraggeber war zufrieden
und der Familienbetrieb um eine Anekdote reicher.
Wenn man es so betrachtet,
war ich da kurz vor dem Wehrdienst
noch Teil eines verdammt gut getimten Heistfilms,
nur dass es hier um Druckplatten statt Diamanten ging.
Und so ließ ich 1989 hinter mir,
voller Raserei, Risiko und Rubylith,
bereit für die Kaserne –
naja, so bereit, wie man eben sein kann,
wenn der Suzuki Winz das letzte war,
was man unter sich gespürt hatte,
bevor der Tarnanzug kam.
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