Kapitel 32 – Bürgerlichkeit mit Keller

Nein, Viehhandel war es ganz sicher nicht.
Wir waren keine Bauern, sondern das,
was man auf dem Land mit leichtem Stirnrunzeln als „die Städter“ bezeichnete.
Gebildete Bürgerlichkeit auf dem Dorf,
ein Münchner Geist in einem Körper auf dem Land.

Mein Vater war einer dieser Männer,
die in mehreren Leben gleichzeitig lebten –
und die auch alle gleichzeitig funktionierten.
Schon vor meiner Geburt war er der jüngste Unternehmer Deutschlands,
ein Titel, den er nicht an die große Glocke hing,
aber er wusste, was er war –
und wie man Geschäft und Image zusammenrührt.

Die München London Film GmbH war so ein Mosaikstein seiner Biografie,
nicht nur ein Unternehmen, sondern auch Renommee auf dem Land.
Denn in den Sechziger- und Siebzigerjahren war Film noch Magie,
die Leinwand ein Fenster zur Welt,
und wer dort arbeitete, war automatisch jemand.

Mit dieser Aura kam er kostenlos aufs Bavaria-Gelände,
was dort wahrscheinlich nur wenigen gelang.
Kontakte, Charme, Cleverness –
man kannte sich, und wenn nicht,
kannte man bald seinen Ro 80.

Ah, der NSU Ro 80
damals wie ein Raumschiff auf Rädern.
Wankelmotor,
keilförmig wie ein Pfeil,
und mit einem Auftritt,
der selbst heute noch was hermachen würde.
Und mein Vater?
Natürlich in der Werbebroschüre als NSU-Kunde.
Nicht aus Zufall –
er hatte sich da mit Sicherheit einen Deal verhandelt,
wie er es immer tat.
Vielleicht günstiger,
vielleicht exklusiver,
aber auf jeden Fall: clever.

Mit dem Ro 80 nach Hamburg in fünf Stunden
das war sein Ding.
Nicht angeben, sondern zeigen, wie’s geht.
Modern denken, schnell handeln,
immer einen Schritt voraus.

Und dann war da noch das Baugeschäft:
UG-BauUG für Untergeschoss.
Weil man auch aus einer Lücke im Markt ein Geschäftsmodell machen kann.
Die Fertighäuser von Hansa kamen ohne Keller,
verkauft von meiner Mutter mit Feingefühl und Verstand,
während ich irgendwo auf dem Musterhausgelände in München
als Kind durch Wohnzimmer tobte,
in denen noch nie jemand gewohnt hatte.

Aber was fehlte, war der Keller
also lieferte mein Vater ihn.
Nicht als Nachgedanken,
sondern mit einer eigenen Firma.
Während die Kunden bei Hansa Häuser bestellten,
kamen sie bei uns vorbei und sagten:
„Und jetzt den Keller dazu, bitte.“

Der Erfolg dieser Strategie lag in ihrer Schlichtheit.
Was fehlt, wird geliefert.
Was nicht geht, wird möglich gemacht.
Und wenn es einen Umweg braucht,
nimmt man eben den Ro 80.

Auf dem Land waren wir Exoten.
Nicht Bauern, nicht richtig Dorf,
aber auch nicht abgehoben.
Eher sowas wie ein urbaner Vorposten,
mit Stil, Struktur – und einem Keller,
der in keinem Fertighaus vorgesehen war.



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