Kapitel 58: Bedeutungslos

Ich war vierzehn oder fünfzehn –
das Alter, in dem man beginnt,
mit sich selbst zu ringen
ohne zu wissen,
ob man kämpft oder tanzt.

Internat.
Haus Geschwister Scholl.
Ein Ort, der schon im Namen Verantwortung trug
und Haltung einforderte,
auch wenn man nur ein Junge war,
der Geschichten schreiben wollte.

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt,
eine bedeutungslose Geschichte zu schreiben.
Ganz bewusst. Ganz entschieden.
Eine Geschichte, in der nichts passierte,
nichts aufgelöst wurde,
nichts erklärt.

Weil ich wissen wollte,
ob das geht.
Ob es Raum gibt
für das Nicht-Spektakuläre.

Eine Geschichte ohne Pointe.
Ohne Botschaft.
Ohne Held.
Ein Vakuum,
in dem der Leser selbst Bedeutung suchen müsste
– oder daran scheitern.

Der Lehrer, der sie las,
blätterte kurz,
dann sah er mich an wie einen kaputten Stuhl
und sagte nur:
„Was soll das?“

Ich zuckte mit den Schultern.
Er hatte es nicht verstanden.
Vielleicht konnte er es auch nicht.

Ein anderer Lehrer verstand mehr.
Bodo Weidemann.
Der gab mir Marx zu lesen – „Arbeit“.
Nicht, weil ich darum gebeten hätte,
sondern weil er etwas sah,
was ich selbst nicht sehen konnte.

Dasselbe Jahr:
Ich verschlang John F. Kennedys Zivilcourage.
Ein schmales Buch,
aber es traf mich wie ein Fels in der Brandung.
Pflicht gegen Angst.
Redlichkeit gegen Bequemlichkeit.

Ich wusste nicht,
dass es nicht normal war,
solche Bücher zu lesen mit vierzehn.

Ich wusste nur:
Etwas in mir wollte verstehen.
Die Welt.
Die Macht.
Den Zweifel.

Vielleicht war ich klug.
Vielleicht auch nur früh verbogen.

Aber klug genug,
um zu ahnen,
dass Geschichten ohne Bedeutung
nur dann erzählt werden dürfen,
wenn man sie durchdrungen hat.

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