Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zeigt sich nirgends deutlicher als in der Vermögensfrage. Während der Einkommensunterschied (Gender Pay Gap) intensiv diskutiert wird, bleibt die tiefere Wahrheit oft unsichtbar: der Gender Wealth Gap. Vermögen in Deutschland ist nicht zufällig ungleich verteilt – es ist das Ergebnis einer jahrhundertealten patriarchalen Architektur des Eigentums, die bis in die Gegenwart nachwirkt.
Das Vermögensgefälle: Die Pyramide ist männlich
Die Schieflage ist umso deutlicher, je höher man die Vermögenspyramide hinaufblickt. Der Reichtum verliert mit steigender Größe seine geschlechtliche Neutralität und wird zur Männerdomäne:
- Bei Milliardenvermögen (Daten 2025): 71 Prozent gehören Männern, nur 29 Prozent Frauen.
- Bei Millionär:innen (DIW-SOEP): Der Frauenanteil liegt bei nur etwa einem Drittel.
- Gesamtvermögen: Selbst unter Einbeziehung von Rentenansprüchen besitzen Frauen im Schnitt 28 bis 35 Prozent weniger Vermögen als Männer.
Diese Zahlen belegen: Geld und Macht sind auch im Bereich des Superreichtums geschlechtlich ungleich verteilt, was auf eine tiefgreifende, systemische Diskriminierung hindeutet.
Das historische Fundament: Die Rechtsunmündigkeit
Die Wurzeln des geschlechtsspezifischen Vermögensgefälles reichen tief in die deutsche Rechtsgeschichte und erklären den heutigen Vorsprung:
- Institutionelle Entmündigung: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 institutionalisierte die ökonomische Entmündigung der Frau. Sie war geschäftsunfähig; ihr Vermögen wurde vom Mann verwaltet, und ihre Erwerbstätigkeit konnte er verbieten.
- Die unsichtbare Arbeit: Das Prinzip der Haushaltsführung als „natürliche Aufgabe“ schuf eine unbezahlte Arbeitsschicht, die Frauen von der Kapitalakkumulation ausschloss. Während Männer Einkommen und Betriebsvermögen aufbauten, sicherten Frauen das Fundament ohne Eigentumsanspruch.
- Das patriarchale Erbrecht: Bis ins späte 20. Jahrhundert wurden Höfe und Betriebe vorrangig an Söhne vererbt, um den „Familienbesitz“ zu erhalten. Töchter erhielten häufig lediglich eine Aussteuer anstelle von produktivem Kapital.
Diese historischen Strukturen schufen einen generationenübergreifenden Vorsprung für Männer, der sich bis heute in der Vermögenssubstanz fortschreibt.
Die moderne Fortschreibung: Der Teufelskreis des Kapitals
Auch nach der formalen Gleichstellung perpetuieren sich die Mechanismen der Ungleichheit über moderne wirtschaftliche und soziale Faktoren:
- Erwerbsbiografien und Care-Arbeit (Die Teilzeitfalle): Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit oder unterbrechen Karrieren für Sorgearbeit. Dies mindert nicht nur das heutige Einkommen, sondern auch die Spar- und Investitionsmöglichkeiten sowie die zukünftigen Rentenansprüche.
- Vermögensarten (Das Renditegefälle): Männer halten überproportional häufig Beteiligungen an Unternehmen und Aktienpaketen, die stärker im Wert steigen und steuerlich begünstigt sind. Frauen sind häufiger auf klassische, renditeärmere Sparformen angewiesen.
- Das patriarchale Erbe in den Gesetzen: Männer profitieren stärker von den großzügigen Steuervergünstigungen bei Betriebsvermögen in der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Frauen erben seltener diese Form von steuerprivilegiertem Großkapital.
- Macht und Einfluss (Die Netzwerk-Lücke): Die „Old Boys‘ Networks“ in Finanzbranche und Unternehmertum kontrollieren den Zugang zu Kapital, Informationen und lukrativen Beteiligungen. Reichtum verleiht gesellschaftliche Gestaltungsmacht – und diese wird überwiegend von Männern besetzt.
Vermögen als letzte Glasdecke
Die Debatte um Gleichberechtigung konzentriert sich zu oft auf das Einkommen. Doch die eigentliche Machtfrage ist die nach dem Vermögen. Einkommen sichert die Gegenwart; Vermögen sichert die Zukunft, verleiht Gestaltungsmacht und schafft Unabhängigkeit über Generationen.
Solange die unsichtbare Architektur des Eigentums – die historischen Hypotheken, die modernen Zeitfallen und die informellen Codes – nicht grundlegend dekonstruiert wird, bleibt Vermögen in Deutschland eine männliche Domäne. Die Überwindung dieser letzten Glasdecke erfordert eine Revolution der Vermögensordnung.
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